Christian W. Eggers
Dieser Artikel geht der Frage nach, ob sich eine real lebende Person unter Anwendung des Kunsturheberrechtsgesetzes (KUG) gegen die Verbreitung einer KI-generierten Foto-Doppelgängerschaft wehren kann. (1)
Problemstellung – Der Zufall regiert
Wie praktisch! Einfach ein Bildthema in den Bild-Generator einer Künstlichen Intelligenz eingeben und blitzschnell stehen einige Motive mit Variationen des gewünschten Fotos zum Download bereit.
Kostengünstig ist diese Produktionsweise von Inhalten auch noch. Spart man doch die Vergütung der Urheber und Urheberinnen. Zeigt das Ergebnis des Generators dann noch agierende Personen im Bild, muss man sich noch nicht einmal um einen sogenannten „Modelrelease“ bemühen.
Die Künstliche Intelligenz komponiert eine neue „künstliche“ Person, deren Physionomie sich aus dem Datenbank-Fundus von Millionen Personenfotos zusammensetzt.
Was aber, wenn die auf diese Weise digital erzeugte Person einem „echten“ Menschen zum Verwechseln ähnlich sieht? Die reale Person ist vielleicht gar nicht damit einverstanden, dass sie beispielsweise in einer Werbeanzeige für Hygieneartikel abgebildet wird. Oder, ebenso beispielsweise, im Rahmen einer Werbung einer Partei, die im Verfassungsschutzbericht erwähnt wird, auftaucht. Muss die real lebende Person es hinnehmen, dass ihr zufälliges KI-Abbild für die Zwecke Fremder vereinnahmt wird?
Die Wahrscheinlichkeit der zufälligen virtuellen Doppelgängerschaft, erzeugt durch eine KI, mag jetzt noch gering erscheinen. Jedoch wird dieses Phänomen früher oder später mit der Ausbreitung der KI als Bildproduzent zu Rechtsstreitigkeiten führen.
Die rechtliche Einordnung der „analogen“ tatsächlichen Doppelgängerschaft lässt sich aus den Grundsätzen des spezialgesetzlich geregelten Persönlichkeitsrechts „Recht am eigenen Bild“ vornehmen.
Rechtsprechung zur realen und gewollten Doppelgängerschaft
Zur gewollten und damit nicht zufälligen Doppelgängerschaft musste sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Rechtmäßigkeit einer Werbung für Konzerte einer Tina Turner Tribute Show befassen. (2)
„Es ging um die Frage, ob das Double Dorothea „Coco“ Fletcher dem Original zu ähnlich sieht – und ob Werbeplakate mit ihrem Foto und dem Titel „Simply The Best – Die Tina Turner Story“ den Eindruck erwecken, der Superstar selbst stehe auf der Bühne oder unterstütze die Show.“ (3)
Die wahre Tina Turner machte einen Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2, § 823 Abs. 2 BGB, §§ 22, 23 KUG gegen die Verbreitung geltend.
„Das Kunsturheberrechtsgesetz (KUG) schützt fotografierte Personen nicht nur vor unbefugter Nutzung ihres Abbildes. Auch dann wenn eine Doppelgängerschaft in der Weise einer Verwechselung ausgenutzt wird, kann sich das Original dagegen wehren. Ein Eingriff in den vermögensrechtlichen Zuweisungsgehalt des Rechts am eigenen Bild kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwendung des Bildnisses den Werbe- und Imagewert des Abgebildeten ausnutzt, indem die Person des Abgebildeten beispielsweise als Vorspann für die Anpreisung eines Presseerzeugnisses vermarktet wird. Es genügt jedoch auch, führt allerdings zu einem geringeren Gewicht des Eingriffs, wenn eine bloße Aufmerksamkeitswerbung vorliegt, also lediglich die Aufmerksamkeit des Betrachters auf das beworbene Produkt gelenkt werden soll, indem sie deren Namen und Bildnis zu Werbezwecken verwendet habe.“ (4)
In Falle der Tina Turner Doppelgängerin kam der BGH jedoch zu dem Schluss, dass eine Einwilligung der echten Tina Turner auf Grund der Ausnahmeregelung des § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG nicht erforderlich gewesen sei. Denn die Verbreitung des Bildnisses der Doppelgängerin habe einem höheren Interesse der Kunst gedient. Dieses überwiege in diesem konkreten Fall das Schutzinteresse der Klägerin Tina Turner.
Ungewollt erzeugte Doppelgängerschaft
Wie ist die Doppelgängerschaft im Falle einer zufälligen Ähnlichkeit eines KI-Fotos mit einer real existierenden Person zu beurteilen? Wie oben dargelegt, kann ein Doppelgängerbild grundsätzlich in den vermögensrechtlichen Zuweisungsgehalt des Rechts am eigenen Bild gemäß KUG fallen. Dabei ist es nicht von Bedeutung, ob dieses Bild das Produkt eines Malers, einer Fotografin oder auch das Produkt einer Künstlichen Intelligenz ist.
Verschuldensunabhängige Haftung als Störer
Nun könnte man meinen, dass bei einer ungewollten Doppelgängerschaft der Zufall eine Rolle spielt und damit ein Anspruch auf Unterlassung entfällt. Zu bedenken ist aber, dass der Unterlassungsanspruch verschuldensunabhängig besteht. Von dem Publizierenden des Doppelgängerbildes kann völlig losgelöst von einem Verschulden die Beseitigung der Störung verlangt werden. Die real lebende Person hat die Rechte, so als wäre ihr eigenes Bild ohne die grundsätzlich erforderliche Zustimmung verbreitet worden. Unerheblich ist auch der Umstand, dass der Anspruchsberechtigte nicht prominent ist.
Prüfung der Ausnahmetatbestände zum Einwilligungserfordernis
Wird also das Bild eines Doppelgängers versehentlich produziert und anschießend publiziert, ist im Rahmen des Schutzkonzeptes des Rechtes am Bild zu fragen, ob ein Ausnahmetatbestand zur Einwilligung nach § 23 Abs. 1 KUG besteht.
„Ohne die nach § 22 erforderliche Einwilligung dürfen verbreitet und zur Schau gestellt werden:
1. Bildnisse aus dem Bereiche der Zeitgeschichte;
2. Bilder, auf denen die Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen;
3. Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben;
4. Bildnisse, die nicht auf Bestellung angefertigt sind, sofern die Verbreitung oder Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient.“
Deepfakes von Versammlungen und Zeitgeschehen
Für (Personen-) Abbildungen die mittels künstlicher Intelligenz erschaffen werden, hat der europäische Gesetzgeber den Begriff „Deep Fake“ gewählt.
Art. 50 Absatz 3 Satz 1 KI-Verordnung bestimmt: „Wer ein KI-System einsetzt, das Bild-, Audio- oder Videoinhalte erzeugt oder manipuliert, die einen Deep Fake darstellen, muss offenlegen, dass die Inhalte künstlich erzeugt oder manipuliert wurden.“
Naturgemäß können derartige Bilder nicht auf der Grundlage der Ausnahmetatbestände Zeitgeschichte (§ 23 Abs. 1 Nr. 1) und Versammlung (23 Abs. 1 Nr. 3), verbreitet werden. Denn diese Ausnahmen vom Einwilligungserfordernis hat der Gesetzgeber zur Privilegierung der Berichterstattung erschaffen. Eine gefälschte Fotografie kann das Kriterium Bildberichterstattung nicht erfüllen. Die genannten Ausnahmen begünstigen dokumentarische Bildberichterstattung zur Ausübung der Meinungs- und Pressefreiheit. Für die Fälle der im Bild nicht realen Versammlung und des nicht dokumentarischen bzw. vorgetäuschten Zeitgeschehens bedarf es somit stets einer Einwilligung des realen Doppelgängers in die Verbreitung. (5)
Beiwerk-Doppelgänger und der Kunst-Doppelgänger
Ausnahmetatbestände, unter denen ein digitaler Doppelgänger unter Umständen im Bild ohne Zustimmung der realen Person verbreitet werden kann, könnten die Beiwerkregelung sowie die Regelung zum „höheren Interesse der Kunst“ sein.
Beiwerk-Doppelgänger
Denkbar ist, dass der digitale Doppelgänger als Beiwerk im eigentlichen Foto-Motiv erscheint. In diesem Falle gilt die Ausnahmeregelung des § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG. Erscheint also der digitale Doppelgänger mehr oder weniger zufällig neben einer Landschaft oder anderen Örtlichkeit, würde damit der Tatbestand des § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG auch erfüllt sein und eine Einwilligungsfreiheit für diese Abbildung einer real lebenden Person an dieser Stelle nicht von vorn herein ausscheiden.
Aber ist das wirklich so?
Bei historischer Betrachtung des Grundes für die Einführung der Beiwerkregelung ist ein anderes Ergebnis zu rechtfertigen. Die Regelung sollte Fotografinnen und Fotografen das Leben erleichtern. Ein Foto darf nicht allein schon bei der Anfertigung des zu publizierenden Werkes verhindert werden, nur weil eine Person zufällig in das Motiv hineinläuft oder sich im erfassten Bildausschnitt, dem eigentlichen Motiv, aufhält. Bei dieser Betrachtung ist die Beiwerkregelung, so wie die Regelungen „Versammlung“ und „Zeitgeschehen“ eine Privilegierung, die für reale Umstände besteht. Nämlich die der Fotografinnen und Fotografen bei der Arbeit ganz altmodisch mit einer echten Kamera unter Körpereinsatz an einem realen Ort.
Doppelgänger im höheren Interesse der Kunst
Denkbar ist, dass der digitale Doppelgänger dem höheren Interesse der Kunst dienen kann. Geht man richtigerweise davon aus, dass ein reines (!) KI-Produkt niemals Kunst im Sinne des Urheberrechts sein kann, fragt es sich wie ein KI-Bild dem Interesse der Kunst dienen kann. Die Frage lässt sich mit der Rechtsprechung zur analogen Doppelgängerschaft beantworten. Stellt eine Personenabbildung eine Werbung oder Information über eine künstlerische Darbietung, eine Ausstellung sowie weitere Veranstaltungen mit künstlerischen Inhalten dar, dann ist diese Werbung bzw. Information auch nach § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG im Dienste der Kunst. Auch hier kommt also grundsätzlich die Einwilligungsfreiheit in Betracht.
Das „besondere Interesse“ des realen Doppelgängers an der Nichtverbreitung
Nach dem Schutzkonzept des Rechts am Bild ist nach dem Vorliegen eines oder mehrerer Ausnahmetatbestände gemäß § 23 Abs. 1 KUG abschließend das besondere Interesse des Abgebildeten an einer Nichtverbreitung für die individuellen Umstände seiner Person und die Umstände der konkreten Verbreitung zu prüfen.
Wie dargelegt, kommen das Entfallen der Einwilligung bei KI-Doppelgängerschaften lediglich für die Ausnahmen „Beiwerk“ (sehr zweifelhaft) und „Kunst“ in Frage. Neben den bekannten Fallgruppen der Rechtsprechung zum Vorliegen des besonderen Interesses des Abgebildeten an einer Nichtverbreitung trotz eines Ausnahmetatbestandes müsste zukünftig an dieser Stelle die Frage aufgeworfen werden, ob und wie der Umstand „maschineller Doppelgänger“ und Deepfake in die Abwägung zum besonderen Interesse der Nichtverbreitung trotz Einwilligungsfreiheit einfließen muss.
Ergebnis zur Anwendbarkeit des Kunsturheberrechtsgesetzes auf KI-Doppelgänger
„Für die klassische Produktwerbung gilt weiterhin, dass niemand sich gefallen lassen muss, dass seine Person ungefragt zu kommerziellen Zwecken vermarktet wird“. (5)
Das gilt auch dann, wenn ein digitaler Doppelgänger hierfür „an den Start geht“.
Die Regelungen zur Ausnahme vom Einwilligungserfordernis nach § 23 Abs. 1 KUG „Versammlung“ und „Zeitgeschehen“ sind nicht anwendbar auf die digitale Doppelgängerschaft. Das Einwilligungserfordernis für KI-Personenfotos kann nicht durch diese Ausnahmen entfallen. Denn diese Ausnahmen bestehen für die Bildberichterstattung und nicht für fiktive Vorgänge.
Ringt man sich durch, die Beiwerk-Regelung und die Kunst-Regelung auf die KI-generieten Doppelgängerfotos grundsätzlich für anwendbar zu halten, muss in der abschließenden Abwägung zum besonderen Interesse des Abgebildeten (§ 23 Abs. 2 KUG) dem Umstand einer KI-generierten Abbildung Rechnung getragen werden. Denkbar ist, dass zukünftig auch die Deepfakes im Sinne der KI-Verordnung als ein besonderes Interesse des Abgebildeten zur Nichtverbreitung seines Doppelgängerbildes zu berücksichtigen sind. So könnten Deepfakes in die sich fortlaufend entwickelnden Fallgruppen der Rechtsprechung zu den der Verbreitung entgegenstehenden besonderen Interessen des Abgebildeten eingehen.
Christian W. Eggers – eggers@nordbild.com – (letzte Aktualisierung dieses Artikels am 5. Mai 2024) Hinweis: Dieser Artikel wurde ohne Hilfe einer KI erstellt. Die Abbildung einer Versammlung (Picknick) wurde mit Hilfe des Microsoft KI-Bildgenerators zur Veranschaulichung der Funktionsweise von KI-Generatoren erstellt.
- Eine hier nicht behandelte Frage ist die Anwendung der DSGVO in den Fällen der KI-Doppelgängerschaft. Dazu demnächst mit einem weiteren Artikel mehr.
- BGH, Urt. v. 24.02.2022, Az. I ZR 2/21
- https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/tina-turner-bgh-101.html
- BGH, Urt. v. 24.02.2022, Az. I ZR 2/21
- Der Gesetzestext benennt „Zeitgeschichte“. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist darunter „Zeitgeschehen“ zu verstehen.
- Niederlage für Tina Turner im Streit um Doppelgängerin, Legal Tribune Online